Das Utopia der Studenten

Die Demonstrationen in Hong Kong unterscheiden sich sehr von denen, die wir in der westlichen Welt von Zeit zu Zeit erleben.

Stattdessen herrschen Sauberkeit, Ordnung und Freundlichkeit. Die Zelte sind in Reih und Glied aufgebaut, Studenten verteilen gratis Mineralwasser, helfen einander beim überklettern der Barrikaden und selbstgebastelte Wegweiser führen zum nächsten Erste Hilfe-Zelt. Sogar der Müll wird getrennt – Altpapier und PET-Flaschen werden gesondert gesammelt. Es gibt sogar eine kleine Bibliothek und ein grosses Zelt, in dem die Studenten ihre Hausaufgaben machen.

Die Proteste gehen nun in ihre zehnte Woche und ihr Rückhalt in der Bevölkerung schwindet zusehends. Eine der drei Protestzonen – die in Mongkok – wurde mittlerweile von der Polizei aufgrund eines gerichtlichen Beschlusses geräumt, nachdem ein Minibus- und ein Taxiunternehmen geklagt hatten. Der Widerstand der Studenten hielt sich sehr in Grenzen. Sie zogen sich in die bei Weitem grösste Protestzone im Stadtteil Admiralty zurück. Die Räumung dieses Reduits, sofern es denn dazu kommen sollte, wird wohl viel erbitterteren Widerstand erfahren.

 

 

 

 

 

Zensurwahn 1

Diese Woche fand das APEC (Asia Pacific Economic Forum) Treffen in Peking statt. Ein Teil der Festivitäten fand unter freiem Himmel statt. Die Sitzordnung war so arrangiert, dass Peng Li Yuan, die Frau des chinesischen Präsidenten Xi Jin Ping, neben Vladimir Putin sass. Anscheinend war die Temperatur am frühen Abend etwas kühl, jedenfalls wurde von vielen Kameras festgehalten, wie Vladimir Putin sich plötzlich erhob und Xi Jin Pings Frau eine Decke um die Schultern legte. Die Fotos dieser galanten Geste Putins verbreiteten sich in Windeseile über Weixin, dem chinesischen Pendent zu Twitter, oftmals begleitet von einem wohlwollenden Kommentar.

Nach einigen Stunden jedoch waren fast alle Einträge nicht mehr zu finden. Sie waren dem chinesischen Zensurwahn zum Opfer gefallen. Warum wohl? Warum darf das chinesische Volk diese Fotos (nicht mehr) sehen? Der Grund liegt mit höchster Wahrscheinlichkeit darin, dass Frau Peng zwischen Putin und ihrem Mann, Präsident Xi Jin Ping, sass und es der Zensurbehörde wohl missfiel, dass Putin sich um Frau Pengs Wohlbefinden kümmerte, während ihr Mann sich mit Barack Obama unterhielt. In der chinesischen Presse werden hohe Regierungsmitglieder immer als perfekt und unfehlbar dargestellt. Deshalb darf nicht gezeigt werden, dass jemand anderer – Putin in diesem Fall – hilfsbereiter oder galanter sein könnte.

 

Vladimir Putin legt Frau Peng Li Yuan eine  warme Decke um die Schultern, während sich ihr Mann, Präsident Xi Jin Ping (2. von links), mit Barack Obama unterhält. Der Mann mit Brille und der, der Xi ins Ohr flüstert, sind die Übersetzer.

Vladimir Putin legt Frau Peng Li Yuan eine warme Decke um die Schultern, während sich ihr Mann, Präsident Xi Jin Ping (2. von links), mit Barack Obama unterhält. Der Mann mit Brille und der, der Xi ins Ohr flüstert, sind die Übersetzer.

 

 

Hong Kongs Chief Executive wird wohl nicht abgesetzt

Ich habe mich geirrt. Ich hätte es eigentlich wissen müssen. Der Selbsterhaltungstrieb der kommunistischen Partei trumpft alles, auch jegliche Vernunft.

Die Zentralregierung in Peking hat nun die Chance verpasst, Hong Kongs unbeliebten Chief Executive wegen Korruption und Steuerhinterziehung abzusetzen. Da er bei einer Firmenübernahme, bei der er Verwaltungsratspräsident war, erwiesenermassen etwa 8 Millionen Franken an rechtlich sehr fragwürdigen Geldern erhalten hat und sie weder deklariert (wozu er als Chief Executive verpflichtet gewesen wäre) noch versteuert hat, wäre es für die Zentralregierung ein Leichtes gewesen, ihn fallenzulassen. Hätten sie das getan, dann wäre der Ruf von Chinas Ministerpräsident Xi Jin Ping als Korruptionsjäger, der auch Korruption in den eigenen Reihen nicht duldet, weiter gefestigt worden. Die Studenten wären auch zufrieden, weil eine ihrer Kernforderungen erfüllt worden wäre.

Hätte Peking den Chief Executive geschasst, dann hätten die Demonstrationen wohl bald geendet und niemand hätte das Gesicht verloren. Es wäre eine ideale Lösung gewesen für ein Problem, das sich, je länger die Demonstrationen dauern, je schwerer friedlich lösen lässt. Nun werden die Demonstrationen wohl noch lange andauern und  die Wahrscheinlichkeit, dass sich Peking sich dazu hinreissen lässt, sie gewaltsam aufzulösen, steigt von Woche zu Woche.

Das alles nur, weil man kein Präzedent setzen wollte. Chinas Führung hat Angst vor einem Flächenbrand. Die Partei fürchtet sich davor, dass ein Regimewechsel in Hong Kong als Folge von Demonstrationen Studenten und die Mittelschicht in China ermutigen könnte, auch aufzubegehren. Sie fürchtet, dass sich die Demonstrationen von 1989 wiederholen würden, die nicht nur in Peking, sondern in vielen grossen Städten Chinas stattfanden. Und sie weiss, dass ihre Legitimität heutzutage mehr in Frage gestellt wird, als das wohl seit der Gründung der Volksrepublik 1949 je der Fall war.

Hong Kongs Chief Executive wird wohl bald zurücktreten

Die Schlinge um C Y Leung zieht sich zu. Da nun durch eine australische Tageszeitung bekannt gemacht wurde, dass C Y Leung, der oberste Regierungschef von Hong Kong, umgerechnet über 6 Mio Franken an illegalen Geldern einer australischen Firma eingesteckt, verheimlicht und notabene natürlich auch nicht versteuert hat, wird er wohl in den nächsten Tagen den Hut nehmen müssen. Die Chinesische Regierung unter Xi Jin Ping wird sich freuen und wird ihn zu diesem Schritt drängen.

Ganz elegant wird sie einen unpopulären Politiker in Hong Kong los ohne das Gesicht zu verlieren und ohne den Studenten Zugeständnisse machen zu müssen. Und obendrein kann Xi Jin Ping sich dann zu Recht brüsten, schon wieder einen korrupten, hochrangigen Politiker in die Wüste geschickt zu haben. Das wirkt abschreckend – nicht nur in Hong Kong sondern vor allem in China, wo es mit der Integrität der Landes- und der Wirtschaftsführer traditionell nicht zum Besten steht.