Ich habe mich geirrt. Ich hätte es eigentlich wissen müssen. Der Selbsterhaltungstrieb der kommunistischen Partei trumpft alles, auch jegliche Vernunft.
Die Zentralregierung in Peking hat nun die Chance verpasst, Hong Kongs unbeliebten Chief Executive wegen Korruption und Steuerhinterziehung abzusetzen. Da er bei einer Firmenübernahme, bei der er Verwaltungsratspräsident war, erwiesenermassen etwa 8 Millionen Franken an rechtlich sehr fragwürdigen Geldern erhalten hat und sie weder deklariert (wozu er als Chief Executive verpflichtet gewesen wäre) noch versteuert hat, wäre es für die Zentralregierung ein Leichtes gewesen, ihn fallenzulassen. Hätten sie das getan, dann wäre der Ruf von Chinas Ministerpräsident Xi Jin Ping als Korruptionsjäger, der auch Korruption in den eigenen Reihen nicht duldet, weiter gefestigt worden. Die Studenten wären auch zufrieden, weil eine ihrer Kernforderungen erfüllt worden wäre.
Hätte Peking den Chief Executive geschasst, dann hätten die Demonstrationen wohl bald geendet und niemand hätte das Gesicht verloren. Es wäre eine ideale Lösung gewesen für ein Problem, das sich, je länger die Demonstrationen dauern, je schwerer friedlich lösen lässt. Nun werden die Demonstrationen wohl noch lange andauern und die Wahrscheinlichkeit, dass sich Peking sich dazu hinreissen lässt, sie gewaltsam aufzulösen, steigt von Woche zu Woche.
Das alles nur, weil man kein Präzedent setzen wollte. Chinas Führung hat Angst vor einem Flächenbrand. Die Partei fürchtet sich davor, dass ein Regimewechsel in Hong Kong als Folge von Demonstrationen Studenten und die Mittelschicht in China ermutigen könnte, auch aufzubegehren. Sie fürchtet, dass sich die Demonstrationen von 1989 wiederholen würden, die nicht nur in Peking, sondern in vielen grossen Städten Chinas stattfanden. Und sie weiss, dass ihre Legitimität heutzutage mehr in Frage gestellt wird, als das wohl seit der Gründung der Volksrepublik 1949 je der Fall war.